Page 31 - Taxikurier Dezember 2020
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Krippenfiguren, Schwibbögen oder auch zu erinnern, wie immer man zu diesem
Weihnachtsbaumschmuck verkaufen das Mann steht, dessen Geburtstag da gefeiert
ganze Jahr über den Traum von glanzvoller wird, der für so viele religiöse und politi-
Weihnacht, denn von friedlich ist meist sche Vorstellungen und Strömungen her-
keine Rede mehr. Kaum jemand kommt auf halten musste. Ob Geburt eines großen
die Idee, die Adventszeit als Fastenzeit zu jüdischen Rabbis, Religionsgründers oder
nutzen und viele Kinder bekommen schon Propheten, es sollte ein freudiges Fest
die ersten großen Geschenke am Nikolaus- sein, ohne zu hohe Erwartungen, ohne
tag. Was dann unter dem Christ- oder Druck und ohne Anspruch auf Perfektion,
Weihnachtsbaum liegt, nimmt mittlerweile denn nur dann kann es zu dem werden, was
Formen an, die mit dem ursprünglichen viele erwarten: ein ruhiges harmonisches
Sinn des Festes nichts mehr zu tun haben. Familienfest, und noch ein Tipp – machen
Kinder werden überschüttet mit mehr oder Sie Ihre Freunde zur Familie! (BH)
weniger sinnvollen Geschenken. Die Eltern
und Großeltern überbieten sich mit Ge-
schenken, die dann zwischen den Feierta-
gen mehr oder weniger erfolgreich umge- TAXLERGESCHICHTEN
tauscht werden. Besonders in Deutschland
hat sich inzwischen eine merkwürdige
Mischung aus Konsumwahnsinn und roman- Das vom Münchner Turm schreiber und Mundart- Dichter
tischer Heile-Welt-Realität entwickelt. Alfons Schweiggert im Jahr 1994 veröffentlichte Buch
Einerseits sollen Gaststätten und Amüsier- „Der Lohnkutscher“ ist eine Dokumentation das
betriebe unbedingt geschlossen sein, ande- Münchner Taxi-Alltags schlechthin.
rerseits interessiert es niemanden, wie vie-
le einsame Menschen an diesem Tag fast Insbesondere heitere Anekdoten und lustige Erlebnisse
den Verstand verlieren, weil die Einsamkeit vom Leben im Taxi und am Standplatz machen dieses Buch
ihnen allen Lebensmut raubt. Dazu wird lesenswert. Wir wollen im TAXIKURIER Auszüge aus diesem
auch noch ein höchst fragwürdiges senti- einzigartigen Werk vorstellen. In dieser Ausgabe:
mentales Fernsehprogramm geboten, dass
die Depressionen noch befördert.
➔ VERSTÄNDNISVOLLE FAHRGÄSTE
Wer am Abend des 24. Dezembers in einer
Deutschen Stadt unterwegs ist, wird kaum
jemanden antreffen. Die Einen quälen sich Am liebsten sind den Taxifahrern natürlich verständnisvolle Fahrgäste. So stieg beim
oder hasten mit mehr oder weniger Enthu- Schorsch einmal ein alter Herr ein und wollte zur Schwedenstraße. „Schweden,
siasmus zu den traditionellen Familienfei- Schweden“, überlegte Schorsch, „ja Herrschaft noch mal, die fallt mir grad net ei.“
ern mit Menschen, denen sie das ganze „Das versteh ich“, lächelte der alte Herr, „ich lern grad Italienisch, und da kann ich mir
Jahr erfolgreich aus dem Weg gegangen manche Wörter auch net merken.“
sind. Oft ist die Erleichterung groß, wenn
die Feier nach Genuss von Alkoholika ohne
größere Diskrepanzen als beendet erklärt
wird. Als problematisch entpuppt sich oft KÜNSTLERHAUS MÜNCHEN AM LENBACHPLATZ
schon im Vorfeld bei der Planung, wer
wann bei wem zu Gast ist, was allein schon
Ehekrisen auslösen kann. Die anderen sit- Besonderer Esprit, traditionelles Ambiente und Geschichte machen das Münchner
zen einsam in ihren Wohnungen, würden Künstlerhaus zu einem faszinie renden Ort für Veranstaltungen jeder Art.
gern in ein Restaurant oder Theater gehen,
aber alles ist geschlossen. Seit einigen
Jahren dürfen endlich einige Bars u. ä. zu
später Stunde öffnen – eine sehr soziale
Maßnahme. Da lobe ich mir Weihnachten
im englischsprachigen Raum. Hier hat die
Tradition die Erinnerung an ein freudiges ➔ VERANSTALTUNGEN
Ereignis wach gehalten. Es wird also Ge-
burtstag gefeiert und das auf den Straßen
mit den Nachbarn und Freunden, mit der
Familie und wer sich dazu gehörig fühlt. So. 06.12. 19.30 Uhr, 2. Portraitkonzert – Opernstudio der Bayerischen Staatsoper
Niemand muss allein bleiben. Selbst die Sa. 12.12. 20.30 Uhr, Jasmin Bayer Quintett – Christmas Jazz
Lieder in den Kirchen haben etwas fröh- Sa. 19.12. 19.30 Uhr, Lippentriller
lich-erhabenes und frönen nicht dieser ver-
ordneten Melancholie. Vielleicht ist es an Weitere Informationen unter www.kuenstlerhaus-muc.de
der Zeit, sich an den Ursprung des Festes
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